Funktionsverbgefüge

 

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„Einen Antrag stellen“

Das gehört zu den ersten Dingen, die man in Deutschland lernt: Es gibt viele Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung zu bekommen – aber man bekommt nichts einfach so, sondern man muss zuerst einen Antrag stellen.

Aber wieso eigentlich stellen? – Man stellt eine Flasche auf den Tisch, und dann steht sie auf dem Tisch. Man stellt das Auto in die Garage. Man stellt seine Uhr um eine Stunde vor oder zurück, wenn die Winter- oder die Sommerzeit beginnt.

Aber wieso stellt man einen Antrag? Steht der dann irgendwo herum? Kann der Antrag umfallen wie eine Flasche, die man auf den Tisch gestellt hat? Liegt der Antrag monatelang auf dem Amt herum, nachdem er umgefallen ist? – Ja, vielleicht dauert es Monate, bis dein Antrag bearbeitet worden ist, aber dazu muss er nicht umfallen.

Du siehst: Die normale Bedeutung des Verbs stellen, die es in der körperlichen Welt hat – etwas in eine Position bringen – hat es in Verbindung mit dem Nomen Antrag nicht. Die Bedeutung des Verbs tritt zurück – der eigentlich Bedeutungsträger ist das Nomen Antrag.

Du kannst den Antrag natürlich erst einmal schreiben, du muasst ihn meistens mit deinem Namen unterschreiben, du kannst ihn mit der Post oder per Email  versenden, oder du kannst ihn persönlich in den Briefkasten eines Amtes einwerfen – aber egal, wie der Antrag entsteht und wie er transportiert wird, der formale verwaltungsrechtliche Vorgang, der dadurch ausgelöst wird, wird immer mit dem Verb stellen bezeichnet. Nur wenn der Antrag gestellt wurde, d.h. auf einem offiziell zugelassenen Weg in die Hände der Behörde gelangt ist, kann er bearbeitet und schließlich entschieden werden.

Warum nennt man das ein „Funktionsverbgefüge“?

Wie das Beispiel einen Antrag stellen gezeigt hat, ist das Verb stellen im Zusammenhang mit Antrag reduziert auf seine Funktion als Verb, also darauf anzuzeigen, dass etwas geschieht. Die konkrete Bedeutung von stellen = in eine Position bringen ist verblasst.  Stellen ist im Zusammenhang mit Antrag ein bloßes Funktionsverb. Erst beide Wörter zusammen bezeichnen den Verwaltungsvorgang, erst zusammen haben sie eine klar erkennbare Bedeutung. Antrag und stellen bilden also ein Bedeutungs-Gefüge.

Gefüge ist ist eine  Nominalisierung von fügen = zusammensetzen, verbinden, verknüpfen.

Ein Funktionsverbgefüge ist also eine feststehende Kombination von Verb und Nomen, bei der die Bedeutung des Verbs zurücktritt.

Es ist nicht zufällig, dass unser Beispiel aus der Verwaltungssprache stammt. Funktionsverbgefüge kommen besonders häufig im Amtsdeutsch vor. Sie dienen nicht nur der Präzision, sondern sie sollen auch Eindruck machen und einschüchtern.


Antrag
Verb und Nomen eines Funktionsverbgefüges sind wie die beiden Türme beim Schachspiel.
stellen

Funktionsverbgefüge mit Objekt oder mit Präposition

In manchen Funktionsverbgefügen ist das Nomen nicht das Akkusativ-Objekt zum Verb, wie in einen Antrag stellen, sondern es kommen (seltener) auch Dativ- und Genitivobjekte vor.

Ich bin der Meinung, dass wir unsere wirtschaftliche Abhängigkeit von China verringern müssen. (Genitiv)

Wir müssen den steigenden Qualitätsansprüchen unserer Kunden Rechnung tragen. (Dativ)

Häufiger werden Verb und Nomen werden mit einer Präposition verbunden, wie z.B. bei zum Ausdruck bringen. Die Präposition ist Teil des feststehenden Ausdrucks, d.h. man kann sie nicht auswechseln. Der Fall des Nomens richtet sich wie immer nach der Präposition.

Funktionsverbgefüge und Verb

Dass das Funktionsverbgefüge eine „sich breit machende, gespreizte“ Ausdrucksweise ist, sieht man daran, dass man in vielen Fällen das Gleiche mit einem Verb sagen kann, meistens mit einem zusammengesetzten Verb. Statt

Ich stelle einen Antrag auf Wohngeld.

kann man genausogut sagen:

Ich beantrage Wohngeld.

Das Verb hat meistens den gleichen Stamm wie das Nomen. Das Funktionsverbgefüge ist also entstanden durch Nominalisierung eines Verbs. Und die Wahl zwischen Funktionsverbgefüge und Verb entspricht der Wahl zwischen Nominalform und Verbalform.

Manche Funktionsvergefüge haben einen passivischen Sinn. Wenn man sie durch ein Verb ersetzen will, muss man das Passiv benutzen.

stellen

Funktionsverbgefüge (zusammengesetztes) Verb
einen Antrag stellen (auf) beantragen
unter Beweis stellen beweisen
zur Diskussion stellen diskutieren lassen
jemandem etwas in Rechnung stellen jemandem etwas berechnen

treffen

Funktionsverbgefüge (zusammengesetztes) Verb
eine Entscheidung treffen (über) entscheiden
eine Verabredung treffen verabreden
eine Auswahl treffen (unter) auswählen

ziehen

Funktionsverbgefüge (zusammengesetztes) Verb
in Zweifel ziehen bezweifeln
Zweifel hegen (an) bezweifeln
in Erwägung ziehen erwägen

bringen

Funktionsverbgefüge (zusammengesetztes) Verb
zum Abschluss bringen abschließen
zum Ausdruck bringen ausdrücken
zur Anzeige bringen anzeigen

kommen

Funktionsverbgefüge (zusammengesetztes) Verb
zur Ruhe kommen sich beruhigen
zum Abschluss kommen abgeschlossen werden
zu einer Einsicht kommen einsehen

geraten

Funktionsverbgefüge (zusammengesetztes) Verb
in Vergessenheit geraten vergessen werden
in Verdacht geraten verdächtigt werden

verschiedene Verben

Funktionsverbgefüge (zusammengesetztes) Verb
eine Forderung erheben (nach) fordern
auf Ablehnung stoßen abgelehnt werden
eine Rede halten reden
ein Risiko eingehen riskieren
eine Antwort geben (auf) (be-)antworten
in Anspruch nehmen beanspruchen
Verzicht leisten / üben verzichten
Kritik üben (an) kritisieren

Funktionsverbgefüge ohne Möglichkeit der Verbalisierung

Zu manchen Funktionsverbgefügen gibt es jedoch keine Alternative allein mit einem Verb – hier einige Beispiele:

Das neue Gesetz tritt am 1. Januar in Kraft.

Das bedeutet: Das Gesetz ist zwar schon vorher fertig und vom Bundestag beschlossen, aber es soll erst ab dem 1. Januar gelten.

Die Schlagersängerin hat mit ihrem neuen Album großen Erfolg.

Es gibt zwar das Verb erfolgen, aber das hat nicht die Bedeutung von Erfolg, sondern eher von passieren oder geschehen:

Die Freischaltung ihres Telefonanschlusses kann erst nächste Woche erfolgen.

Ein anderes Beispiel:

Für die vergebliche Anfahrt muss ich Ihnen die Anfahrtspauschale in Rechnung stellen.

Der Handwerker ist gekommen, und du warst zum vereinbarten Termin nicht da, so dass er nicht arbeiten konnte. Diese Fahrt musst du ihm bezahlen. Er nimmt deshalb die Pauschale für die Anfahrt in seine Rechnung auf. Er stellt die Anfahrt in Rechnung.

Auf die Abgeordneten wurde von der Automobilindustrie großer Druck ausgeübt.
Die Abgeordneten standen unter großem Druck seitens der Automobilindustrie.

Druck ausüben und unter Druck stehen ist nicht dasselbe wie drücken und gedrückt werden. Das Verb hat eine rein körperliche Bedeutung wie in jemandem die Hand drücken. Das Funktionsverbgefüge hat dagegen eine übertragene Bedeutung: Es geht um politischen Druck, um Versuche der politischen Einflußnahme.

Manchmal ist der Unterschied zwischen Verb und Funktionsverbgefüge sehr fein. Man kann von einem Verstorbenen Abschied nehmen, indem man ihn noch einmal im Sarg sieht, oder durch Trauerrituale, wie es sie in allen Kulturen gibt. Man kann sich aber schlecht von einem Verstorbenen verabschieden, denn er gibt einem ja nicht die Hand und sagt nicht tschüss.

Attribute im Funktionsverbgefüge

Ein weiterer Grund für die Verwendung von Funktionsverbgefügen besteht darin, dass man das Nomen darin mit Attributen näher bezeichnen kann. Verben dagegen kann man nur mit Adverbien näher bezeichnen, und die erlauben nicht so komplexe Konstruktionen wie die Attribute. Im folgenden Beispiel ist das Attribut zu Rede fett hervorgehoben:

1) Der Bundespräsident hat gestern eine sehr kluge und auch von den internationalen Medien stark beachtete Rede gehalten.

2) Der Bundespräsident hat gestern sehr klug geredet und ist von den internationalen Medien stark beachtet worden.

Als Adverb bringt man in der zweiten Variante nur sehr klug unter. Den Rest kann man nur als zweiten Hauptsatz ausdrücken, und dabei verändert sich der Sinn ein wenig. In der ersten Variante mit dem Funktionsverbgefüge eine Rede halten ist es die Rede, also der Inhalt des vorgetragenen Textes, der von den internationalen Medien beachtet wird. In der zweiten Variante wird der Bundespräsident als Person von den internationalen Medien stark beachtet.

Eine Liste von Funktionsverbgefügen findest du hier.

Einige Übungen findest du hier.

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Auf Sprakuko gibt es ein Video.

Und die ondaz-Übungen zu Funktionsvergefügen findest du  hier.